„Das ist mein waches Auge“Sabrina Weniger und ihr dokumentarisches Fotoprojekt „Jasmine the lovebird“

Freitag, 20. Mai 2022
Für ihr Langzeitprojekt zum Thema Transgender begleitet die Fotografin Sabrina Weniger seit 2017 Chieh. Die einfühlsamen Fotografien werden jetzt unter dem Titel „Jasmine the lovebird“ im Aperture Film Lab gezeigt. Die Prints für die Ausstellung entstanden bei p: berlin.

Du hast gerade in der Werkstatt von p: berlin an einem deiner Projekte gearbeitet – worum geht es dabei?
Sabrina Weniger: Ich arbeite an einem Langzeitprojekt mit dem Titel „Jasmine the lovebird“. Dabei begleite ich Chieh und dokumentiere seinen Alltag. Das Thema Transgender ist dabei ein Aspekt von vielen – vorrangig geht es um Identitätssuche. Chieh und ich haben uns seit der Corona Pandemie häufiger getroffen, das Projekt verdichtet. Die Themen wiederholen sich, intensivieren sich, oder neue entstehen.

Was sind das für Themen?
Da ist zum Beispiel das Thema Herkunft: Chieh ist in Taiwan geboren und aufgewachsen, seine Familie ist dann nach Amerika ausgewandert, wo er und seine Schwester zur High School gingen und u.a. auch studierten. Heute lebt Chieh in Deutschland, erst in Düsseldorf, jetzt in Berlin. Ein wichtiger Aspekt seines Lebens sind seine Freunde, die auf der ganzen Welt verteilt leben und auch zu einem wichtigen Teil des Projektes wurden. Im Herbst letzten Jahres habe ich das Projekt ausgestellt. Während des Seminars mit Ina Schoenenburg an der Ostkreuzschule für Fotografie haben wir das Projekt in eine Zwischenform gebracht und sowohl eine Serie für eine Ausstellung als auch für ein kleines Magazin zusammengestellt. Im Magazin selbst sind auch Illustrationen von Chieh und Texte von Teresa Schmidt-Meinecke zu sehen und zu lesen.

Wonach schaust du bei deiner Fotografie, was versuchst du festzuhalten?
Es ist unterschiedlich, aber generell versuche ich, möglichst wenig zu steuern. Bilder entstehen, wenn ich eine Situation begleite, eine Stimmung aufnehme. Im Projekt mit Chieh wiederhole ich teilweise Gesehenes, aber noch nicht Festgehaltenes. Zusätzlich treffen wir uns für geplante Portraits, regelmäßig, immer wieder. Auch um körperliche Veränderungen festzuhalten. Oder nach besonders prägenden Erlebnissen, wie einem Krankenhausbesuch oder nach einer Therapiestunde.

Wie gehst du bei der Arbeit vor?
In meiner Arbeit halte ich mich im Hintergrund und greife selten ein. Generell hadere ich in meiner dokumentarischen Arbeit damit, dass meine Anwesenheit die Situation der Protagonist:innen verändert. Also jede Szene, die ich begleite, verändert sich durch mich – ich als Beobachtende beeinflusse das Beobachtete und umgekehrt. Im Fall des aktuellen Projektes bin ich mittlerweile okay damit, weil Chieh okay damit ist. Zusätzlich versuche ich meine Protagonist:innen nicht in etwas hineinzupressen, was sie nicht sind, sehe aber hin und wieder Dinge, die sie selbst bisher nicht wahrgenommen haben. Das ist mein waches Auge. Auch mag ich einen kollaborativen Ansatz, Fotos gemeinsam entstehen zu lassen.

Was genau hast du in der Werkstatt von p: berlin gemacht?
Ich habe bei p: berlin meine Bilder gescannt und außerdem die Drucke für zwei Ausstellungen im Mai gefertigt.

Wie war für dich als Fotografin die Erfahrung, die Werkstatt zu nutzen?
Ich schätze an der Werkstatt, dass ich dort sehr konzentriert arbeiten kann. Es gibt wenig Ablenkung, so kann ich tief in meine Arbeit einsteigen, ich bin fokussierter. Hin und wieder kommt es auch zu fotografischem Austausch mit anderen Künstler*Innen, was zusätzlich wertvoll ist. Ich mag an p: berlin, dass es wie ein Kollektiv funktioniert: man achtet aufeinander, hilft sich gegenseitig und kann dennoch autark und mit gutem Equipment arbeiten.

Hat dir die Ausstattung der Werkstatt weitergeholfen?
Ja, denn sonst hätte ich die Scans in einem kommerziellen Labor anfertigen lassen müssen und hätte einen weniger direkten Einfluss auf das Resultat gehabt. Dank der Werkstatt kann ich den gesamten Prozess, vom Scannen bis zu den Prints, einheitlich und selbst gestalten. Die Bindung zum Projekt, zur Fotografie wird auch stärker, macht stolz.

Weißt du schon, was dein nächstes Projekt werden wird?
Ich arbeite an einem anderen Langzeitprojekt zum Thema „Altsein“. Nicht nur Altsein, wieder auch Begleitung, ein Tagebuch unseres Sehens. Ich habe einen Freund in München, der Ü80 und Künstler ist, ihn begleite ich bereits seit zehn Jahren. Derzeit versuche ich ihn von einer gemeinsamen Ausstellung zu überzeugen, ich mit Fotografien von ihm und er mit seinen Collagen.

 

Ausstellungen von Sabrina Weniger:
Duo Exhibition – Sabrina Weniger + Ian Wainaina
19.5.–15.8.2022
Aperture Film Lab, Schlüterstraße 68, 10625 Berlin
Gruppenausstellung THERE WE ARE im Rahmen der 8. Triennale der Photographie Hamburg
31.5.–14.6.2022, Eröffnung: 31.5.2022 ab 19 Uhr
Akademie für Fotografie Hamburg, Gaußstraße 149, 22765 Hamburg