Analoge ArbeitsweltenFotograf Martin Weinhold im Interview

Freitag, 17. Februar 2023
Martin Weinhold ist schon lange im Geschäft. Er hat bereits als Kameramann beim TV gearbeitet und fotografiert seit über 15 Jahren die Arbeitswelt in Kanada. Basis seiner Arbeit: sein analoges Labor, in dem er die Kunst der Filmentwicklung und des Printens auf höchstem Niveau betreibt. Im Interview spricht er über seine Arbeit als Fotograf und im Labor, sowie über den Workshop, den er 2023 in der p: berlin academy geben wird.

Was ist dein Background und was machst du im Bereich der Fotografie?  

Martin Weinhold: Ich bin über Umwege zur Fotografie gekommen. Ich habe das lange werden wollen, bin dann aber sehr konsequent an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig abgelehnt worden. Deshalb  habe ich nach einer Alternative gesucht und bin zur UdK gekommen, wo ich Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation studiert habe. In der Zeit  fotografierte ich weiter, aber das lief eher auf einem Nebengleis. Mein Hauptberuf und Broterwerb war tatsächlich Kameramann. 

Du warst beim Fernsehen?  

Ja, ich habe sehr lange beim Privatfernsehen als Kameramann gearbeitet. Der Umschwung zur Fotografie ist über die Abschlussarbeit meines Studiums gekommen, das ja eigentlich als Alternative zur Fotografie gedacht gewesen war. Ich habe im Studium zwar weiterhin mit dem Bild zu tun gehabt, aber eben nicht mehr als Bildautor. Meine Diplomarbeit habe ich 2001 zum Thema Individualität in der Porträtfotografie geschrieben und  mich dabei so sehr in das Thema verbissen, dass es dadurch zum Rückfall gekommen ist. Als ich mit dem Diplom fertig war, wollte ich nicht mehr in die Werbung gehen oder in einer Pressestelle arbeiten, sondern ich bin zur Fotografie zurückgekehrt. 

Was passierte dann?  

Eine Zeit lang habe ich parallel TV und Fotografie gemacht, aber 2008 bin ich endgültig zur Fotografie gewechselt und habe das Fernsehen hinter mir gelassen. Heute arbeite ich als selbständiger Fotograf. 

Was ist dein inhaltlicher Schwerpunkt in der Fotografie? 

Wenn es freie Arbeiten sind, also die, die mir am meisten am Herzen liegen, dann geht es hauptsächlich um Porträts. Man könnte das, was ich mache, auch “kontextualisiertes Porträt” nennen. Ich interessiere mich für sozial-dokumentarische Fotografie und will wissen, wo die Menschen leben und wie die Umgebung sie prägt. Das ist für mich das spannendste Thema, wenn ich frei arbeiten kann. Was Auftragsfotografie anbelangt, geht es aber auch meist um Menschendarstellungen, also Porträts für Firmen und teilweise Industriefotografie. Da bin ich natürlich auch durch meine freien Arbeiten hingelangt, die haben mich in den Bereich Industrie gebracht, weil mein Thema seit vielen Jahren Industrie, Arbeit und Beruf ist.  

Dein Schwerpunkt sind also Porträts im Bereich Arbeit und dort vornehmlich Industrie?  

Porträts sind ein Schwerpunkt, aber die Arbeit kann die Darstellung der ganzen Firma umfassen, von der Außendarstellung der Gebäude bis zu Porträts der Mitarbeiter:innen. Dabei hilft mir natürlich der werbliche Hintergrund aus dem Studium. Ich biete das als Paket an, von der Konzeption bis zur Ausarbeitung der Bilder. Neben diesem Standbein gibt es außerdem noch den Bereich Privatporträt, das mache ich analog auf Film, es ist aber eher eine Nische. Und neuerdings, seit 2018, schreibe ich auch Texte und habe 2022 zum ersten Mal ein komplettes Buch rausgebracht, wo Bild und Text von mir waren. Das war eine Auftragsarbeit für die Evangelische Schulstiftung, 160 Seiten Vorstellungen von Schulgründern in Deutschland.  

Sehr vielfältig, spannend! Du arbeitest auch regelmäßig in der Werkstatt von p: berlin – was machst du dort und welche Geräte nutzt du häufig? 

Die Werkstatt ist eine fantastische Gelegenheit für mich. Ich arbeite seit 15 Jahren an meinem größten Projekt, quasi mein “Lebenswerk”, und zwar auf Film im Mittelformat. Diese Bilder muss ich digitalisieren für alle möglichen Anwendungen, für den Druck, für die Darstellung im Internet. Auch wenn ich weiter meine eigenen Abzüge im Labor mache, ist es allein bei der Menge des Materials schon notwendig zu digitalisieren. Das ist der häufigste Anlass, warum ich zu p: berlin nach Oberschöneweide komme und unglaublich dankbar bin, dass es für Künstler dort eine Möglichkeit gibt, so professionell zu digitalisieren. 

Wie sieht dein Arbeitsprozess aus?  

Ich benutze hauptsächlich den Hasselblad-Scanner und neuerdings auch vermehrt die Phase-One-Digitalisierungsstation. Ich komme in der Regel extrem penibel vorbereitet in die Werkstatt, habe meine Kontaktbögen und die dazugehörige Negative dabei. Die Bildnummern sind vorher ausgesucht und dann nutze ich den ganzen Tag und gehe die wesentlichen Motive der einzelnen Filme durch. 

Was ist für dich der wichtigste Unterschied zwischen dem Scanner und der Digitalisierungsstation? 

Maßgeblich das Tempo. Ich habe mir natürlich auch die Qualität genau angeguckt, dabei sind mir aber keine Unterschiede aufgefallen. Die Probe aufs Exempel steht da aber für mich noch bevor, wenn ich einmal von einem Digitalisat drucken würde. Ich habe mit Alexander schon sehr große Drucke von den Hasselblad-Scans gemacht und die sind exzellent geworden. Die haben meine Erwartung noch übertroffen. Das habe ich jetzt mit der neuen Digitalisierungsstation noch nicht gemacht. 

Würdest du sagen, dass du neben dem Fotografieren  was Druck angeht, mittlerweile erfahren bist oder  eine besondere Expertise hast? 

Ich habe eine Expertise, was den Druck und den Prozess in der Dunkelkammer anbelangt. Mein Fotolabor ist über viele Jahre aufgebaut, es ist jetzt sehr ausgefeilt und exklusiv. Was den digitalen Druck anbelangt, da bin ich ehrlich gesagt dankbar, dass ich das bei p: berlin mit Alexander gemeinsam machen kann, denn hier habe ich viel weniger Erfahrung. 

Was ist für dich das Besondere an der Arbeit in deiner Dunkelkammer und warum hast du dich für analoge Fotografie entschieden? 

Ich habe mit meinem eigenen Labor wirklich Glück gehabt, weil es sehr groß ist, was viele Möglichkeiten eröffnet. Es erstreckt sich über zwei Räume und knapp 40 Quadratmeter. Das bedeutet, dass ich eine saubere Trennung zwischen Nass- und Trockenprozess machen kann. Das hilft beim fleckenlosen Arbeiten, ich habe weniger Staub und Verunreinigungen und kann so hervorragende Bilder abziehen. Die Langsamkeit der Arbeit in der Dunkelkammer ist für mich nicht unbedingt ein Nachteil, ich sehe das eher als einen für den Prozess wichtigen Widerstand. Und so habe ich über die Jahre die Dunkelkammer immer weiter verfeinert, z.b. eine bessere Abschattung gegen Streulicht eingerichtet und die Chemikalien optimiert, mit denen ich entwickle. Mir fallen natürlich noch tausend Sachen ein, die ich noch optimieren muss, aber ich denke, es ist inzwischen eine sehr gute Dunkelkammer geworden.  

Wo hast du dir dieses Wissen angegeignet? Bist du in dem Bereich Autodidakt oder hast du eine Ausbildung erhalten? 

Während meines Studiums an der UdK hat Fotografie eher konkret anwendungsbezogen eine Rolle gespielt. Da ging es eher darum, das richtige Bild für den jeweiligen Zweck machen zu können. Viel Wissen rund um das Fotografieren habe ich von Kindheit an gelernt, das hat mich schon immer fasziniert und ich war in Kursen und Fotoclubs. Später habe ich mir dann persönliche Mentoren gesucht, um von ihnen zu lernen.  

Wer waren diese Mentoren?  

In der jüngsten Vergangenheit habe ich tatsächlich bei Wolfgang Moersch in Köln einen exklusiven Einzelworkshop gemacht. Er ist eine Koryphäe im Bereich der Dunkelkammerarbeit und so einen Workshop wollte ich seit langem machen. Als ich in Toronto war, hatte ich auch einen sehr guten Mentor, Greg Edwards, der aus den USA nach Kanada gekommen ist und sich für mich erstaunlich viel Zeit genommen hat. Außerdem habe ich regelmäßig Kontakt zu Marc Stache, einem der Fotolaborspezialisten von Fotoimpex.  

Wie bist du nach Kanada gekommen?  

Ich wollte zum Thema Arbeit fotografieren und hatte Probleme, das Thema hier in Deutschland anzugehen. Ich stand mir selber im Weg, mir hat die kritische Distanz gefehlt. Zu der Zeit, im Sommer 2005, habe ich noch bei Sat1 als Kameramann gearbeitet und es gab eine totale Auftragsflaute. Da hat mir eine Freundin von der UdK vorgeschlagen, sie nach Toronto zu begleiten, wo sie in einem Künstlerhaus vorübergehend eine Wohnung bezogen hatte. Das war die erste Reise nach Kanada und ich fand es ehrlich gesagt furchtbar. Ich fand Toronto grauenhaft und wollte eigentlich schon zurückfliegen, aber dann habe ich die Leute dort kennengelernt und so eine Ahnung bekommen, was Kanada für mich sein könnte. Die Kanadier waren für mich immer fremd und gleichzeitig vertraut genug. Und ein Jahr später ist der Funke übergesprungen und ich hatte erste Fototermine dort und es lief sehr viel besser als jemals zuvor in Deutschland. Die Menschen in Kanada sind bei dem Thema “Arbeit” unkomplizierter, es gibt weniger Statusdenken. Gleichzeitig habe ich mit einer wohltuenden Distanz auf das Thema geblickt und es war generell einfacher, sich das als Außenstehender anzusehen, man kann dann objektiver beobachten. 

Und diese Serie über Arbeit ist dein privates Projekt, eine Herzensangelegenheit?  

Die Grenzen sind da fließend – ich mache das Projekt jetzt seit 15 Jahren und es gab immer auch Partner und Kooperationen. Aber die Initiative ist immer von mir ausgegangen und es gab nie einen direkten Auftrag. 

Kommen wir mal zu dem Workshop, den du bei p: berlin leiten wirst. Ist das dein erster Workshop oder hast du schon Erfahrungen in dem Bereich? 

Nein, bis jetzt bin ich nur Teilnehmer gewesen und habe mir Wissen vermitteln lassen. Es ist jetzt also das erste Mal, dass ich selbst einen Workshop gebe.  

Worum geht es in dem Workshop? 

Ich bin dazu seit längerem im Austausch mit Alexander und wir haben jetzt zwei verschiedene Varianten konzipiert. Die erste ist ein Workshop für Einsteiger:innen, die zwar analoge Fotografie bereits kennen, aber die Ergebnisse nicht selber entwickeln und bearbeiten können. Denen können wir in dem Workshop die Möglichkeit geben, dass sie die Dunkelkammer kennenlernen: Wie funktioniert das grundsätzlich, wo sind die Unterschiede zur digitalen Arbeit und welche besonderen Möglichkeiten gibt es in dem Prozess? Das wäre ein Einstieg, bei dem es grundsätzlich um die Verarbeitung von Schwarzweiß-Positivmaterial geht. Die Filmentwicklung ist nicht dabei, weil wir das als Tagesworkshop konzipiert haben und das den Rahmen sprengen würde. Wir gehen also davon aus, dass die Teilnehmenden das Filmmaterial selber mitbringen. Die zweite Variante ist ein Verfeinerungsworkshop für Leute, die bereits in der Dunkelkammer arbeiten und ihre Ergebnisse noch verbessern möchten. Da geht es dann um Grauwerte, Aufspreizung, Probleme in der Schattenzeichnung oder bei den Lichtern. Das wäre dann eher ein Fortgeschrittenenworkshop. Insgesamt wird das Angebot das Erste im Bereich Dunkelkammer bei p: berlin sein.  

Was steht neben den Workshops bei dir in der nächsten Zukunft an?  

Ich breche bald wieder zu einer Expeditionsreise nach Kanada auf. Das Kanada-Projekt ist inzwischen sehr weit gediehen. Die Idee ist einerseits, das ganze Land zu beschreiben und gleichzeitig alle Berufe des 21. Jahrhunderts mit in die Sammlung aufzunehmen. Entsprechend episch ist das auch als Werk. Bei dem ursprünglichen Projekt, Kanada zu beschreiben, fehlen zwei Territorien, der äußerste Nordwesten mit Yukon und den Nordwestterritorien. Das wird aber nicht dieses Jahr anstehen. Was dieses Jahr ansteht, ist eine Neuentwicklung: Ich arbeite jetzt mit mehreren kanadischen Universitäten zusammen. Sie interessieren sich sehr für mein Projekt, weil es die größte Sammlung an aktuellen Arbeitsporträts in Nordamerika ist. Während der Corona-Pandemie ist dann die Idee entstanden, dass wir Protagonisten, bei denen ich vor zehn oder mehr Jahren war, wieder aufsuchen und ein zweites Porträt machen. Aber diesmal kommt eine Feldforscherin mit, eine Soziologin, die zusätzlich zu meiner Fotografie Interviews zu den Erwerbsbiografien der Leute führen wird. Daraus soll dann eine große interaktive Veröffentlichung im Internet werden, auf der man frei recherchieren kann.  

Ist derzeit schon klar, wann und in welcher Form das Projekt publiziert werden wird? 

Normalerweise bin ich immer sehr vorsichtig mit Aussagen zu Publikationen, weil es da oft viele Hürden und Verzögerungen gibt. Bei dem Projekt mit den kanadischen Universitäten ist die Veröffentlichung aber Teil der Fördersumme gewesen und dementsprechend sind die Kosten für die Publikation bereits fest eingeplant. Die interaktive Internetseite soll 2025 fertig sein und mit etwas Glück wird es auch noch ein Buch mit den erwähnten Vorher-Nachher-Porträts geben.

Interview: Sven Stienen

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Alle Workshops von Martin Weinhold finden auf deutsch und englisch statt.

Vita: Weinhold lebt seit seiner Kindheit in Berlin. Seit 2006 ist Kanada zur zweiten Heimat geworden. Martin Weinhold studierte an der Berliner UdK und schloss 2001 mit einem Diplom in Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation ab. Seine Abschlussarbeit handelt von der Individualität in der Porträtfotografie und stellt die Weichen für seinen weiteren Werdegang. Heute unterrichtet Martin Weinhold u.a. auch als Dozent für visuelle Kommunikation. Nach langjähriger Tätigkeit als Kameramann wechselte er 2008 vollständig zur Fotografie. Künstlerisch setzt sich Martin Weinhold besonders intensiv mit dem sozialdokumentarischen Porträt auseinander. Sein WorkSpace Canada Project bestimmt seit mehr als 15 Jahren sein kreatives Schaffen.

Wer mehr zu Martin Weinhold wissen möchte, findet weitere Infos und Fotografien unter:
www.martinweinhold.com
www.workspacecanadaproject.com