Menschen haben ihre Geheimnisse in ihren RäumenAnne Schönharting im Interview








Anne Schönharting ist seit 1999 Mitglied der Agentur Ostkreuz und unterrichtete als Gastprofessorin bereits an der Bauhaus-Universität Weimar und an der Muthesius Kunsthochschule in Kiel. In ihren fotografischen Arbeiten widmet sie sich unterschiedlichsten Themen und Genres, von Porträts kirgisischer Nomaden über Modefotografie bis zu Dokumentarfotografien aus Irland oder Indien. 2020 erschien ihr preisgekröntes erstes Buch „Das Erbe“, eine Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit ihrer Familie. Im Oktober 2022 erschien ihr neues Buch „Habitat“, für das sie über zehn Jahre hinweg Menschen in ihren Wohnungen in Berlin-Charlottenburg portraitierte und inszenierte. Eine Ausstellung dazu läuft noch bis zum 11. Dezember im Haus am Kleistpark. Die Prints für die Ausstellung entstanden in den p: berlin laboratories.
Du warst jüngst in den p: berlin laboratories und hast dort an einem Projekt gearbeitet. Worum ging es dabei?
Ich bin schon seit vielen Jahren regelmäßig in der Werkstatt und printe dort immer wieder Bilder für meine Projekte. Ich bin wahrscheinlich schon seit den ersten Tagen dabei, quasi ein alter Hase, und nutze hauptsächlich den Drucker für Prints.
Wie ist es für dich, in der Werkstatt von p: berlin zu arbeiten?
Ich finde die Arbeit dort sehr angenehm und fühle mich auch gut betreut. Alexander ist immer sehr aktiv und hilft allen, und durch die gute Einarbeitung bin ich jetzt relativ sicher mit meinen Prints. Das ist echt ein super Workflow. Für uns Fotograf:innen und Künstler:innen ist es eine wunderbare Möglichkeit. Es ist toll, in der Werkstatt selbst kostengünstig die großen Prints machen zu können, und das Ergebnis ist immer sehr befriedigend.
Wirst du in Zukunft auch die neue Digitalisierungsstation nutzen?
Bisher hat sich das aus Zeitgründen noch nicht ergeben, aber ich habe ein großes Negativ-Archiv und kann mir gut vorstellen, es in Zukunft mal zu sichten und zu digitalisieren.
Welche Arbeiten hast du zuletzt bei p: berlin gedruckt und worum geht es in deiner aktuellen Ausstellung im Haus am Kleistpark?
Der Titel meiner aktuellen Arbeit ist Habitat. Ich habe dafür zehn Jahre lang in Berlin Charlottenburg fotografiert und mich darauf konzentriert, Porträts, Szenen und Stillleben in einem Stadtbezirk festzuhalten. Es geht dabei aber gar nicht um Charlottenburg, der Stadtbezirk könnte genauso gut auch in New York oder in Paris sein. Es geht eher um eine gewisse Gesellschaftsschicht von Menschen, die ich beobachtet habe. Die Bilder, die dabei entstanden sind, sind teilweise sehr poetisch und mitunter ein bisschen skurril oder seltsam. Die ganze Arbeit, insgesamt 54 relativ großformatige Bilder, habe ich jetzt während des ganzen Sommers für die Ausstellung im Haus am Kleistpark geprintet.
Wie bist du auf dieses Sujet eines Gesellschaftsporträts gekommen?
Das hat sich ergeben, weil meine Agentur Ostkreuz sehr eng mit co/berlin verknüpft ist. Und als co/berlin vom alten Postamt in Mitte in das Amerikahaus umgezogen ist, haben wir mit Ostkreuz eine kleine Eröffnungs-Ausstellung produziert, in der es um die neue Nachbarschaft, also Charlottenburg, ging. Ich fand es sehr interessant, das Viertel fotografisch zu erkunden. Es gibt dort sehr interessante Menschen, die sehr mondän leben. Ich wollte die Leute in ihren Wohnungen porträtieren. Damit habe ich dann begonnen und dabei ergaben sich immer neue Kontakte und es ging weiter.
Hast du in der Zeit des Projektes etwas Neues kennengelernt, hat dich etwas überrascht?
Langzeitprojekte sind prädestiniert dafür, dass man selber daran wächst und ich würde sagen, dass das bei diesem Projekt auch der Fall war. Ich bin fotografisch daran gewachsen und außerdem hat sich durch dieses jahrelange Porträtieren auch eine gewisse Erfahrung angesammelt. Es ist insgesamt eine große Bereicherung gewesen, weil ich unglaublich viel interessante Persönlichkeiten kennengelernt habe und ganz tolle Gespräche hatte. Und das Fotografische war natürlich ein Fest, denn die Motive, die Wohnräume und die Menschen waren spektakulär und haben sich sehr auf mich eingelassen, mir vertraut. Die Arbeit war dadurch sehr zeitaufwendig, es gab vor jedem Porträt Vorgespräche und die Aufnahmen selber waren richtige Sessions, die teilweise einen halben Tag oder länger dauerten. Da ist schon etwas gewachsen und das hat mich in den letzten zehn Jahren begleitet und bereichert.
Die Bilder sind in der Tat sehr beeindruckend! Du hast die intensive Vorbereitung und die aufwendigen Shootings bereits erwähnt – sind die Bilder auch inszeniert oder hast du alles so festgehalten, wie du es vorgefunden hast?
Der Schwerpunkt lag auf einer Inszenierung. Es ging mir nicht darum, die Realität originalgetreu zu dokumentieren, ich wollte eher die Essenz beschreiben. Das bedeutete zum Teil auch, dass wir einen ganzen Raum leergeräumt oder Möbel umgestellt haben. Manchmal ist es aber auch so perfekt gewesen, wie es war. Ich habe oft schon vorher Probeaufnahmen von den Räumen gemacht, und meistens habe ich es während des Fotografierens wieder verworfen und etwas ganz anderes gemacht. Es ist eigentlich immer anders gekommen, als ich dachte – das war ein organischer Prozess. Zum Ende hin wurde es immer szenen-artiger, mich hat zunehmend so ein filmisches Moment fasziniert.
Was versuchst du mit deinen Bildern festzuhalten oder zu zeigen? Was ist dir in deinen Arbeiten besonders wichtig?
Einerseits reizt mich das Individuelle einer Person. Aber gleichzeitig finde ich es auch immer sehr interessant, wenn in der Serie dann etwas Übergreifendes, Allgemeingültiges zum Vorschein kommt, so dass dann ein Porträt auch eine gewissen Gesellschaftsschicht als Ganzes repräsentieren kann. Bei der Habitat-Serie fand ich es interessant, so eine Art Essenz dieser Personen und ihrer Lebensbereiche einzufangen. Da spielt sich auch viel im Unterbewusstsein ab. Ich glaube, dass der Raum, in dem man lebt, immer auch ein Spiegel dessen ist, was im Innern eines Menschen ist und wo man gerade steht. Selbst wenn jemand sich gar nicht einrichtet und alles so lässt wie es ist, ist das auch ein Verweis auf eine bestimmte Haltung. Ich glaube, Menschen haben ihre Geheimnisse in ihren Räumen. Deswegen habe ich auch immer versucht, unsichtbar zu sein und die Menschen so zu zeigen, wie sie allein sind. Da fallen dann auch die Fassaden.
Was meinst du damit?
Ein Beispiel: Wenn man allein im Raum ist, lächelt man nicht. Ich glaube, man lächelt eigentlich nur für andere, was ja auch sehr schön ist, weil wir soziale Wesen sind. Aber in dem Moment, in dem man in seinem Raum ist, wird man zum Solitär. Und was ändert sich dann, was zeigt es von einem? Da kommen alle Facetten zum Vorschein, von Trauer bis zu Schönheit und Freude. Darüber habe ich während des Projektes viel nachgedacht und es fasziniert mich nach wie vor.
Jetzt wird dein Projekt in einer Ausstellung im Haus am Kleistpark gezeigt, die noch bis 11. Dezember 2022 läuft. Was gibt es dort zu sehen? Zeigst du alle Arbeiten oder eine Auswahl?
Es ist eine Auswahl. Das komplette Projekt zeige ich in dem Buch, das enthält 30 weitere Abbildungen, die man in der Ausstellung nicht zu sehen bekommt. Die Ausstellung kann man sich als eine Reise vorstellen, auf der man eine geheimnisvolle Welt entdecken kann. Zumindest hoffe ich, dass man es so empfindet – aber es ist immer schwierig, so über die eigene Arbeit zu sprechen. Am besten gehen die Leute einfach hin und schauen es sich an.
Hast du schon Pläne für die Zukunft über die aktuelle Ausstellung hinaus? Worauf können wir uns als nächstes freuen?
Da gibt es momentan noch nichts Spruchreifes. Ich denke ich werde auf Reisen gehen und ich möchte auch mal einen Gang runterschalten. Nicht im Sinne einer Kreativpause, eher als Beschäftigung mit Kreativität an sich. Und dann mal schauen, was ich dabei so ausbrüte.



