"Heute darf man nicht zu schmalspurig unterwegs sein"Interview mit dem Fotografie-Professor Hermann Dornhege

Dienstag, 2. Mai 2023
Hermann Dornhege ist ein Veteran der Fotograf:innenszene. Als Fotojournalist arbeitete er in den 1980er und 90er Jahren u.a. für das FAZ-Magazin, GEO, Stern, und Merian, 2003 erhielt er eine Professur für Fotografie an der Fachhochschule Münster. Im Interview spricht er über seine spannenden Erfahrungen, die Zukunft der Fotografie und das Spazierengehen in Valencia.

Sie sind schon lange im Geschäft und haben bereits in den 1980er-Jahren Porträts und Reportagen gemacht. Wie sah Ihr Weg in die Fotografie aus, und wie haben Sie als Fotograf gearbeitet?

Hermann Dornhege: Ich habe Bildjournalismus in Dortmund bei Prof. Ulrich Mack studiert und danach Zeitschriftengestaltung bei Prof. Willy Fleckhaus in Wuppertal. Er war quasi der erste Art-Director in Deutschland und hat zum Beispiel das twen-Magazin gestaltet und auch das FAZ-Magazin, bei dem ich dann später als Redaktionsfotograf gearbeitet habe. Das Problem in dieser Zeit war, dass der Fokus in der Ausbildung darauf lag, Fotografie zu erlernen und tolle Bilder zu machen. Aber von der Verwertung der Bilder, welche Erwartungen Redaktionen an die Fotografierenden stellen, davon hat man in den Hochschulen damals nichts gelernt. Das war aber das, was uns interessiert hat, denn wir wollten alle zu den Zeitschriften. Willy Fleckhaus hat uns das beigebracht. Er hatte einen virtuosen Umgang mit den Bildern und hat seine ganze eigenen Dramaturgien entwickelt. Die von ihm konzipierten Magazine waren eine sehr hohe Kunst, und ich durfte ein bisschen von ihm lernen, was meiner Fotografie gutgetan hat. Wenn man nämlich weiß, wie die eigenen Bilder hinterher eingesetzt werden und was in den Bildredaktionen gebraucht wird, dann kann man das beim Fotografieren schon berücksichtigen und die Zusammenarbeit funktioniert besser.

 

Hat sich diese Tendenz in ihrer aktiven Zeit verändert hat, wird das Redaktionelle heute in der Ausbildung stärker berücksichtigt?

Absolut! Ich war seit 2003 als Professor an der Fachhochschule Münster tätig,  es war für mich ein ganz wesentlicher Punkt der Lehre, dass es nicht nur darum ging, gute Bilder zu machen, sondern dass die Studierenden auch die Verwertungszusammenhänge kennenlernen. Das betrifft sowohl inhaltliche Überlegungen als auch das Technische, z.B. Auflösungen und Formate.

 

Wie war das für Sie? Haben Sie in der Praxis gelernt, was die Magazinredaktionen  brauchen?

Ich habe ja nicht nur für das FAZ-Magazin gearbeitet, sondern auch für andere Hefte wie Geo, Stern und Merian. Da muss man sich zunächst damit beschäftigen, welche Bildsprache diese unterschiedlichen Publikationen haben. Beim FAZ-Magazin konnte ich eigentlich immer machen, was ich wollte, weil der Direktor da sehr experimentierfreudig war und ich vollstes Vertrauen genossen habe. Wenn ich dann für andere Magazine gearbeitet habe, dann wurden die Grenzen oftmals enger gesetzt

Hatten Sie immer einen bestimmten Schwerpunkt? Haben Sie sich eher als Porträt- oder eher als Reportage- oder Reisefotograf betrachtet?

Ich habe mich als Journalist jenseits des tagespolitischen Geschäfts betrachtet und meine Schwerpunkte hingen damit zusammen. Ich war immer ein Reisender und habe das fotografiert, was mir auffiel. Ich spreche natürlich nicht von Sehenswürdigkeiten, ich wollte an den gesellschaftlichen Randbereichen arbeiten, wo ich auch möglichst große Freiheit hatte. Das war ein Schwerpunkt und der andere Schwerpunkt waren Porträts. Das waren oft kurze Assignments und das war für mich eine willkommene Abwechslung von den Reisen, für die ich ja oftmals zwei, drei Monate am Stück unterwegs war.

 

Gibt es einen roten Faden, der sich durch Ihre Arbeit zieht, ein Thema, das Sie immer besonders interessiert hat?

Auch auf die Gefahr hin, klischeehaft zu klingen: Der rote Faden war für mich immer die Conditio humana. Was ist eigentlich das, was uns alle verbindet? Ich glaube, es gibt da etwas, das uns über Kultur-, Länder- und Religionsgrenzen hinaus gemeinsam ist, und dem habe ich immer nachzuspüren versucht. Ein weiteres wiederkehrendes Element war, dass ich immer eine unglaubliche Neugierde in mir getragen habe. Ich wollte immer wissen, wie andere Leute leben, was für ein Weltbild sie haben, und wie sie sich verwirklichen. Das habe ich versucht, fotografisch zu erkunden. Die Fotografie war für mich ein Vorwand, meine Nase in Dinge zu stecken, die mich nichts angingen.

 

Haben Sie denn diese verbindende Gemeinsamkeit zwischen den Menschen gefunden?

Ich würde nicht behaupten, dass ich mit meiner Fotografie die Welt erklären kann, aber ich glaube, dass ich durchaus Impulse geben kann, über bestimmte Dinge nachzudenken. Ich könnte jetzt nicht sagen, wie genau sich alles verhält, das wäre vermessen und auch gar nicht möglich. Dafür bin ich auch viel zu sehr in meiner eigenen Kultur verhaftet. Aber ich habe gemerkt, dass man mit einer gewissen Offenheit in andere Kulturen sehr tief eindringen kann. Ich habe mich auf meinen Reisen nie fremd gefühlt, sondern wurde immer von den Leuten aufgenommen und akzeptiert. Ich habe mich immer am richtigen Platz gefühlt, egal wo ich war.

Gibt es eine Geschichte, die Sie besonders geprägt hat oder an die Sie oft zurückdenken?

Ich habe in Indien einmal 14 Tage mit einer ganz armen Bauernfamilie verbracht, habe mit denen  Tisch und Bett geteilt. Sie haben mich in ihrem Dorf aufgenommen und ich habe dort wie ein Familienmitglied gelebt. Das war sehr anders als unser Leben hier, und sehr eindrücklich. Wir schliefen unter freiem Himmel im Innenhof und es gab keine festen Schlafplätze. Jeder hat sich am Abend dort hingelegt, wo gerade Platz war, und die Hunde und Ziegen legten sich auch daneben. Aus unserer westeuropäischen Perspektive ist das nicht nachvollziehbar, wenn ich Freunden davon erzählt habe, haben die das nicht verstanden. Aber das war für mich in dem Moment genau richtig. Und dieses Einlassen auf die Bedingungen vor Ort, das hat dazu geführt, dass ich immer sehr nah dran war mit meiner Fotografie.

 

Sie haben gerade angesprochen, dass die verschiedenen Medien immer eigene Anforderungen an die Fotograf:innen stellen. War es manchmal ein schwieriger Balanceakt, dem eigenen Anspruch zu genügen und trotzdem zu liefern, was gerade gefragt war?

Man muss die verschiedenen Anforderungen der Publikationen schon berücksichtigen, bevor man anfängt zu fotografieren. Ich war aber damals beim FAZ Magazin fest angestellt und damit in einer sehr privilegierten Situation. Mir hat dort nie jemand reingeredet und das habe ich natürlich ausgenutzt. Der Unterschied zwischen dem, was ich machen wollte und dem, was ich liefern sollte, der war bei anderen Magazinen wie Geo, Merian oder Stern größer.

 

In unsere p: berlin laboratories kommen viele junge Fotograf:innen, die es oft nicht leicht haben, sich wirtschaftlich zu etablieren. War das früher einfacher?

Wenn ich mir die Berufseinstiege meiner Studierenden heute anschaue, dann muss ich sagen, dass es heute definitiv schwieriger ist. Gleichzeitig war es auch zu meiner Zeit alles andere als einfach. Der Kuchen war immer schon verteilt und es hat niemand auf die Absolvent:innen von den Hochschulen gewartet. Auch wir mussten uns selber unsere Nischen schaffen und uns ein Standing erarbeiten. Ich habe die ersten Jahre frei gearbeitet und es hat lange gedauert, bis ich mir keine Sorgen mehr machen musste, ob ich im nächsten Monat genügend Aufträge bekomme. Leicht war es nie, aber heute ist der Druck noch deutlich größer als bei uns damals.

 

Haben Sie in Ihrer Laufbahn auch künstlerische Veränderungen in der Fotografie wahrgenommen? Gehen junge Fotograf:innen heute anders künstlerisch an Dinge heran, als man das vor 20 Jahren gemacht hat?

Die Bandbreite, in der die Fotografie heutzutage eingesetzt wird, ist völlig anders als vor 20 oder 30 Jahren. Damals war man mehr oder weniger einem spezifischen Genre verpflichtet, das ist heute nicht mehr der Fall. Es gibt heute viele Fotograf:innen, die sowohl journalistisch arbeiten als auch künstlerisch. Wenn man früher künstlerisch gearbeitet hat, dann war man in der Angewandten Fotografie ein bisschen verpönt, und umgekehrt war es natürlich genauso. Diese Grenzen sind heute, Gott sei Dank, nicht mehr da. Es hat sicher auch ein bisschen mit der Akademisierung der Fotografie zu tun, an den Hochschule geht die Entwicklung weg vom Handwerklichen und man denkt viel mehr über Konzepte und künstlerische Strategien nach. Diese alte Trennung zwischen den Richtungen hat sich aufgelöst und das ist auch gut so.

Kommen wir mal auf photography unlimited e.V. zu sprechen. Wie ist Ihre Connection zu dem Verein und zu den p: berlin laboratories?

Ich bin durch einen kleinen Artikel im Magazin PHOTONEWS auf den Verein und die Werkstatt aufmerksam geworden. Da ging es um die neue Digitalisierungsstation und ich dachte beim Lesen, das ist eigentlich genau das, was ich mir immer gewünscht habe. Wir haben natürlich bei uns an der Hochschule auch Möglichkeiten, zu digitalisieren – aber dort sitze ich pro Bild mehrere Minuten und in der Summe war mir das immer zu viel Zeitaufwand. Daher habe ich mich sofort für einen der Workshops angemeldet. Einige Zeit später bin ich dann mal eine Woche lang in Berlin gewesen und habe ganz viele Digitalisate an der Station angefertigt. Ich möchte Teile meines umfangreichen Archivs digitalisieren, das sowohl Kleinbild-schwarzweiß Filme, angefangen in den 1970er-Jahren, als auch Farbnegativfilme und Dias enthält – insgesamt eine Menge an Material und eine große Aufgabe.

 

Das heißt, Sie haben den Workshop mit der Einweisung an der Station gemacht und dann auch daran gearbeitet. Wie war denn die Arbeit an der Station?

Der Workshop war zwei Monate vorher und ich habe aufgrund dieser Erfahrung alles vorbereitet. Man muss alles gut vorbereiten, damit man vor Ort zügig arbeiten kann und nicht so viele Formatwechsel hat. Das Arbeiten an der Station war toll. Ich hatte eine ganze Woche Zeit und ich war ganz alleine in der Werkstatt. Niemand hat mich gestört, es war ein zügiges und gutes Arbeiten. Ich finde es hilfreich, dass es den Verein Photography unlimited e.V. gibt, der sich so für die Förderung der künstlerischen und freien Fotografie einsetzt. Denn die wenigsten können es sich heute leisten, für einen einzelnen Scan 80 Euro auszugeben und hier bekommen alle die Möglichkeit, diese besondere Technologie zu nutzen.

 

Haben Sie als jemand, der über viel Erfahrung verfügt und auch in der Lehre tätig ist, einen Rat für für junge Fotografinnen und Fotografen?

Ich glaube, heute darf man nicht zu schmalspurig unterwegs sein und sich nur auf ein bestimmtes Gebiet konzentrieren. Man muss sich breit aufstellen, die Genregrenzen offenhalten und vor allem ein hohes Maß an Bildkompetenz erwerben – also auch theoretisches Wissen über Fotografie und die Fähigkeit, gute Konzepte zu entwickeln. Vor allem muss man aber immer neugierig bleiben und seinen Geist füttern. Die interessantesten Inspirationen kommen oft gar nicht aus der Fotografie, sondern aus ganz anderen Bereichen wie Literatur, Film, Musik. Es ist wichtig, immer aus allen möglichen Quellen zu schöpfen.

 

Haben Sie derzeit noch weitere Pläne, neben der Digitalisierung Ihres Archives?

Ja, das Digitalisieren ist natürlich nur ein Randbereich. Es wäre furchtbar, wenn ich jetzt so eine Kellerassel würde. Es macht mir sehr viel Spaß, jetzt nicht mehr so angewandt arbeiten zu müssen. Ich bin sozusagen frei von all den Verwertungszusammenhängen und kann jetzt Dinge geschehen lassen und schauen, was mir begegnet. Diese Freiheit, die genieße ich sehr und ich koste sie auch sehr aus.

 

Gibt es ein konkretes Projekt, an dem Sie gerade arbeiten?

Ich arbeite gerade an einer Geschichte über die spanische Stadt Valencia. Ich bin durch eine Erasmus-Kooperation unserer Hochschule auf die Stadt aufmerksam geworden und bin auch öfter dort gewesen. Ich habe dann herausgefunden, dass der extrem prägende schweizerisch-amerikanische Fotograf Robert Frank in den 1950er Jahren auch eine Zeit in Valencia gelebt hat. Frank war zu der Zeit sehr gefragt, aber als er in Valencia war, wollte er dort einen anderen Ansatz verfolgen, gewissermaßen eine Pause vom fotografischen Tagesgeschäft machen. Er hat also nicht das fotografiert, was von ihm verlangt oder erwartet wurde, sondern hat einfach mit seiner Familie dort gelebt, ist einkaufen und spazieren gegangen und hat diese Eindrücke ganz frei und ungezwungen eingefangen. Das fand ich einen schönen Ansatz und vor zwei Jahren habe ich ebenda auch angefangen, so etwas zu machen. Ich will natürlich nicht Robert Frank kopieren, aber ich habe gemerkt, dass man mit dieser Art zu Fotografieren zu ganz überraschenden Ergebnissen kommt. Die sind vielleicht nicht für jedermann sofort verstehbar. Aber das macht ja nichts, denn ich mache das in erster Linie für mich, und diese Freiheit fühlt sich sehr gut an.

 

Interview: Sven Stienen

 

Noch bis zum 26. Mai 2023 findet eine Ausstellung des Pixelprojekt_Ruhrgebiet@Herne mit Bildern von Hermann Dornhege statt.

Webseite Hermann Dornhege
Pixelprojekt_Ruhrgebiet